Das Bettelverbot ist Symptom einer falschen Prioritätensetzung, auch bei der Gewerbepolitik der Stadt Luxemburg – höchste Zeit für eine Kursänderung
Wenn seit dieser Woche aktiv gegen jegliche Form von Bettelei in der Stadt Luxemburg vorgegangen wird, dann ist dies ein Ausdruck dessen, was der DP-CSV Schöffenrat der Stadt Luxemburg unter einer attraktiven Hauptstadt versteht. Sie soll in erster Linie “sauber” sein – sprich, es soll keine sichtbare Armut geben, denn diese vergraule jene, die in der Stadt ihre Einkäufe erledigen möchten. Doch ist dies wirklich die geeignete Maßnahme, um unsere Stadt attraktiver zu machen, oder bedarf es nicht anderen Ansätzen?
Tatsache ist: In den letzten Wochen häuften sich die Meldungen von Ladenschließungen in der Hauptstadt. Erst das Wanderscheid in der Innenstadt, nun kommt die Brasserie Joslet im Bahnhofsviertel hinzu. Gleichzeitig eröffnete der globale Riese Starbucks vor etwa einer Woche eine Filiale am Royal Hamilius. Es ist ein Gegensatz, der zum Trend wird. Während lokale Geschäfte, die der Stadt eine einzigartige Attraktivität verleihen, ihre Türen schließen müssen, sind es, wenn überhaupt, multinationale Einzelhandelsunternehmen, die sich in der Hauptstadt behaupten.
Vor allem das Bahnhofsviertel hat mit einem hohen Leerstand zu kämpfen. Zahlen des Geschäftsverbandes der Stadt Luxemburg zufolge steht in der Avenue de la Gare ein Viertel der Lokale leer. Im Bahnhofsviertel sind es insgesamt knapp über 10%, in der Innenstadt 7,5%.
Die Gründe für diese Situation sind vielfältig. Der Onlinehandel und die Häufung von Einkaufszentren in und um die Hauptstadt machen den Geschäften im Stadtzentrum starke Konkurrenz. Hinzu kommt die generell wirtschaftlich angespannte Lage, geprägt u.a. von hohen Kosten und Schwierigkeiten, geeignete Arbeitskräfte zu finden.
Verfehlungen bei Sicherheit und Urbanismus
Die Entwicklung des Einzelhandels in der Hauptstadt ist aber auch geprägt durch politische Verfehlungen und Laissez faire.
Da wäre zuerst die Frage um das Sicherheitsgefühl in der Hauptstadt und vor allem im Bahnhofsviertel, das unbestritten einen Einfluss auf die Geschäftswelt hat. Heute muss man feststellen, dass die Ausweitung der Kameraüberwachung entgegen dem, was der hauptstädtische Schöffenrat versprochen hatte, nicht zu mehr Sicherheit geführt hat, sondern bestehende Probleme in die Wohnviertel, die Al Avenue, die Innenstadt und die städtischen Parks verlagert hat.
Auch die Patrouillen durch private Sicherheitsfirmen haben nicht zur Problemlösung beigetragen, genauso wenig wie die Tatsache, dass die große Mehrheit der sozialen Strukturen sich weiterhin im Bahnhofsviertel und in Bonneweg befinden, was dazu führt, dass sich die Probleme weiterhin auf diese Viertel konzentrieren.
Schließlich riskiert auch das sehr umstrittene allgemeine Bettelverbot, womit der städtische Schöffenrat fälschlicherweise Kriminelle und Arme über einen Kamm schert, keine positiven Effekte für den Handel zu haben. Bettler*innen werden somit höchstens in andere Stadtteile vertrieben, von der inakzeptablen Marginalisierung der Ärmsten in unserer Hauptstadt ganz zu schweigen. Hinzu kommt die schwierige Umsetzung und der damit verbundene erhöhte Arbeitsaufwand für Polizei und Justiz, was den Behörden weniger Ressourcen für die Verfolgung von schwerwiegenderen Straftaten lässt. Es stellt sich daher die Frage, ob das Ganze der öffentlichen Sicherheit im Endeffekt nicht mehr schadet als nutzt.
Auch im Bereich der Stadtgestaltung wurden Chancen verpasst. War der Hamilius vor kurzem noch durch den mittwochs und samstags stattfindenden Wochenmarkt wenigstens zeitweise mit Leben gefüllt, so wird dieser seit der Rückkehr des Marktes auf den Knuedler seinem tristen Schicksal überlassen. Der Platz ist nicht einladend und es fehlt zum Beispiel an Terrassen, Begrünung und einem innovativen Konzept.
Dasselbe gilt auch für die Stadtviertel, wo statt einer Aufwertung der Plätze durch Verkehrsberuhigung, Ausweitung von Terrassen und Begrünung, die Situation durch Umbauarbeiten teils verschlechtert wurde, so z.B. in der Avenue Pasteur in Limpertsberg, der Rue Gellé in Bonneweg und der Place de Nancy in Hollerich.
Ein breiter Aktionsplan für die Gare
Damit Geschäftslokale und Gastronomiebetriebe florieren können, bedarf es eine proaktivere Unterstützung vonseiten der Gemeinde sowie gezielten Maßnahmen, um die Hauptstadt mit Leben zu füllen. Das gilt nicht nur, aber besonders für das Bahnhofsviertel, das derzeit stiefmütterlich behandelt wird. Es mangelt an einem ganzheitlichen Konzept, um die Attraktivität der Gare zu verbessern. Die Einrichtung eines eigenen gewerblichen Dienstes samt Beauftragte*n für die Entwicklung des Bahnhofsviertels wäre ein erster Schritt. Dieser könnte mit den Eigentümer*innen in Kontakt treten, um den hohen Leerstand von Geschäftslokalen zu reduzieren und Maßnahmen umzusetzen, um die Sauberkeit und somit auch die Attraktivität des Viertels zu erhöhen. Der Hygienedienst könnte zum Beispiel entsprechend ausgestattet werden, um auf Anfrage von Betroffenen schnell intervenieren zu können.
Auch eine Umgestaltung der Avenue de la Gare und der Place Wallis würde dem Handel und der Gastronomie zugutekommen. Hierfür braucht es in einem ersten Schritt nicht einmal langwierige Bauarbeiten – eine Umleitung einiger Buslinien über die Rocade und eine leichte Umgestaltung des öffentlichen Raumes zugunsten von Fußgänger*innen, Begrünung und Terrassen würde bereits zu einer deutlichen Verbesserung führen. Und statt Dauerparkplätzen könnten in der gesamten Stadt bei Geschäften vermehrt Kurzzeitparkplätze vorgesehen werden – auch das würde den Geschäftsleuten nützen.
Mehr gemeindeeigene Lokale
Ein attraktiver Urbanismus und ein Ausbau der sanften Mobilität spielen eine große Rolle, wenn es um die Attraktivität des Handels geht. Dies belegen zahlreiche Studien sowie Beispiele aus anderen Städten, z.B. die Umgestaltungen des Boulevard Anspach in Brüssel oder der Mariahilferstraße in Wien. Als europäische Hauptstadt sollte die Stadt Luxemburg sich an diesen Beispielen messen.
Leben in die Stadt bringen – das bedeutet auch, gegen den Leerstand von Wohnungen vorzugehen, der nirgendwo so hoch ist wie in der Innenstadt und im Bahnhofsviertel, wo quasi niemand über den Geschäften wohnt. Im Rahmen der Überarbeitung des Flächennutzungsplans besteht zum Beispiel die Möglichkeit, dies endlich anzugehen.
Auch sollte die Stadt die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde verstärkt selbst in die Hand nehmen. Die Gemeinde verfügt derzeit über 34 Lokale, wovon nur 11, also weniger als ein Drittel, Einzelhandelsgeschäfte sind. In den letzten Jahren wurden kaum neue Lokale erworben. Um einen größeren Einfluss auf die Entwicklung der Stadt zu bekommen, sollten wenn möglich sowohl im Bestand als auch bei neuen Vierteln Lokale erworben und an Geschäfte und Gastronomie vermietet werden. Auch die sehr sympathische Pop-up Store Initiative, die sich derzeit vorwiegend auf das Stadtzentrum beschränkt, könnte überarbeitet und auf weitere Viertel ausgedehnt werden. An Geld mangelt es bekanntermaßen nicht – die Stadt Luxemburg verfügt über mehr als eine Milliarde Euro Reserven.
Schließlich muss bei der Sicherheitsproblematik mehr geschehen als nur Symptombekämpfung. Um die Situation in den Griff zu bekommen, brauchen wir einen ganzheitlichen Ansatz, unter anderem durch die Dezentralisierung der sozialen Hilfsstrukturen, um das Bahnhofsviertel zu entlasten, ein massives Housing First-Programm, um Obdachlose langfristig von der Straße zu bekommen, den Ausbau des Streetworks sowie eine kontinuierliche Stärkung der Agents municipaux und der Polizei.
Richtige Prioritäten für eine attraktive Stadt
Wenn wir wollen, dass angesichts von zunehmendem Onlinehandel, immer mehr großen Shopping-Zentren und den Herausforderungen für kleine Handels- und Gastronomiebetriebe unsere Stadt in den nächsten Jahren voller Leben bleibt und noch lebendiger wird – mit einzigartigen Geschäften, abwechslungsreichen Lokalen und einer diversen Gastronomie – dann kommen wir nicht drum herum, die richtigen politischen Prioritäten zu setzen.
Statt wie mit dem Bettelverbot zu versuchen, die Probleme nur zu verdrängen, brauchen wir langfristige Lösungen. Vor allem aber muss die Gemeinde sich nicht nur als passiver Zuschauer verstehen, sondern noch mehr als bisher zum aktiven Akteur der wirtschaftlichen Entwicklung werden. Nur so können wir dafür sorgen, dass ons Stad in Zukunft attraktiv und lebenswert bleibt.
François Benoy ist Gemeinderat (déi gréng) in Luxemburg-Stadt.
Fabricio Costa ist Co-Sprecher von déi jonk gréng und Sekretär der hauptstädtischen Sektion von déi gréng.
Erstveröffentlichung am 20. Januar 2024 im Luxemburger Wort.