Verteidigen, was uns wichtig ist

Stéphanie Empain und François Benoy über grüne Friedenspolitik in Zeiten globaler Bedrohung (Luxemburger Wort, 12. April 2025)

Das Friedensprojekt Europa hat es uns über 8 Jahrzehnte erlaubt, an den ewigen Frieden in Europa zu glauben. Doch spätestens seit dem 24. Februar 2022, dem Tag, an dem Russland die Ukraine überfallen hat, wissen wir: Frieden ist nicht einfach auf ewig da. Frieden muss verteidigt werden. Leider auch mit Waffen.

Zu dieser Erkenntnis sind wir über die Jahre in einem immer feindseliger werdenden internationalen Umfeld nach und nach gekommen. Wir stehen zu unseren Grundwerten und passen unsere Politik der Realität an. Wir kämpfen dafür, genau diese Grundwerte auch in Zukunft noch frei äußern zu können.

Freiheit ist die neue Friedensfrage

Aus den Ruinen zweier Weltkriege hat Europa seinen heutigen Wohlstand auf der Grundlage einer friedlichen Ordnung aufgebaut. Das europäische Projekt war und ist ein Versprechen, dass Schluss sein muss mit dem Recht des Stärkeren, wie auch Luxemburg es 1914 und 1940 erleben musste. Putins Angriffskrieg setzt diese Gewissheit fundamental aufs Spiel. Es geht deshalb für Europa heute ums Grundsätzliche: Um Freiheit. Um Selbstbestimmung. Um das Recht und den Willen eines Volkes, demokratisch über sich zu bestimmen – ohne Angst vor Bomben und ohne Diktat von außen. Deshalb kann Europa es sich weder moralisch noch politisch leisten, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken.

Wer in dieser Lage reflexhaft gegen jede Aufrüstung ist, verkennt die Gefahr. Oder schlimmer: Er überlässt das Feld denen, die mit Gewalt ihre Agenda durchsetzen wollen. Wenn Demokratien sich nicht verteidigen können, werden sie überrollt. Es gibt keinen Frieden ohne Freiheit. Und Freiheit lässt sich leider nicht mehr allein mit guten Absichten verteidigen.

Verteidigung ja – aber klug, europäisch und mit Maß

Das heißt aber nicht: Rüstung um jeden Preis. Gerade wir Grüne sind es, die seit Jahren vor blinder Aufrüstung warnen. Dass jetzt plötzlich viele europäische Länder hektisch Milliardenpakete schnüren, als sei Sicherheit allein eine Frage des Budgets, ist zu kurz gedacht und verkennt den Kern des Problems der europäischen Verteidigungsarchitektur: Europa arbeitet nicht eng genug zusammen in Verteidigungsfragen.

Was es braucht, ist eine europäische Verteidigungsstrategie, die effizient, aufeinander abgestimmt und strategisch gedacht ist. Keine dreifache Entwicklung von Waffensystemen. Keine nationalen Alleingänge. Sondern eine echte Zusammenarbeit, bei der wir mit weniger Geld mehr Sicherheit schaffen. Diesen Weg haben wir Grünen schon beschritten, als viele andere noch dachten, das Thema sei nebensächlich.

Dass der ehemalige Verteidigungsminister François Bausch sich so vehement für grenzüberschreitende Zusammenarbeit eingesetzt hat, kam nicht von ungefähr. Projekte wie das geplante belgisch-luxemburgische Bataillon und das Vorantreiben unserer Teilnahme an multinationalen Programmen wie dem A400M zeugen vom Willen, über die Grenzen hinweg wichtige militärische Fähigkeiten bereitzustellen.

Wir sind Friedenspartei – in einer Zeit voller Veränderungen

Auf unserem letzten Parteikongress haben wir als Partei das Thema Frieden bewusst angesprochen, um gemeinsam mit allen Parteimitgliedern zu diskutieren. Das ist Teil unserer DNA. Es hat uns gefreut, dass wir diskutieren und jetzt mit sehr großer Mehrheit eine gemeinsame Position vertreten können. Wir stehen zu unserer Verantwortung und zur Gewissheit, dass wir unsere Werte nicht nur predigen, sondern sie auch verteidigen müssen.

Das ist verantwortungsvoller Pazifismus vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage.

Kein Frieden ohne sozialen Zusammenhalt und Umweltschutz

Gleichzeitig sagen wir auch: Sicherheit ist mehr als militärische Abschreckung. Sicherheit bedeutet auch, den sozialen Frieden zu wahren. Generationengerechtigkeit zu ermöglichen. Den Klimawandel zu bekämpfen – denn er ist die größte sicherheitspolitische Herausforderung der kommenden Jahrzehnte .

Wir dürfen die Rüstungsausgaben nicht zum neuen goldenen Kalb machen, dem alles andere geopfert wird. Wir brauchen ein Gleichgewicht, denn es wäre zynisch, den Frieden mit der einen Hand militärisch sichern zu wollen, während die andere Hand soziale Spaltung, Armut oder ökologische Katastrophen zulässt. Wahre Sicherheit muss ganzheitlich gedacht werden.

Ein europäischer Moment – auch für Luxemburg

Luxemburg mag klein sein – aber gerade in einer Zeit, in der die EU ihre gemeinsame Stärke neu entdeckt, kann unser Land mit Haltung und Voraussicht vorangehen. Wir können Impulse setzen für eine Verteidigungspolitik, die nicht nur gegen, sondern auch für etwas kämpft: Für Demokratie. Für Rechtsstaatlichkeit. Für den Erhalt einer offenen, freien Gesellschaft.

In Deutschland, Frankreich und anderen Nachbarländern sind ähnliche Debatten im Gange. Wir Grünen gehen dieses Ringen offen an – und wir beantworten es mit einem klaren Ja zu einer neuen Friedenspolitik, die Frieden nicht nur träumt, sondern aktiv schützt.

Nicht nur Verteidigung ist Voraussetzung für Frieden

Es ist kein Widerspruch, eine Friedenspartei zu sein und sich für eine kluge Aufrüstung stark zu machen. Es ist Ausdruck von Verantwortung. Frieden ist kein ewig garantierter Zustand, sondern ein Ziel, das Arbeit, Mut – und manchmal auch Abschreckung braucht.

Deshalb sagen wir: Ja, zu einer starken europäischen Verteidigung. Ja, zu Investitionen in Sicherheit – aber ohne die sozialen und ökologischen Aufgaben unserer Zeit zu vergessen. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass Sicherheit keinen Bestand haben kann, wenn Gerechtigkeit und Umweltschutz vernachlässigt werden. Demokratie und Grenzen zu verteidigen darf nicht zur einzigen Priorität werden. Denn es bringt uns als Gesellschaft nichts, zwar Grenzen und Demokratie zu verteidigen, dafür aber unseren Planeten und unsere Lebensgrundlagen zu opfern.

Wer Sicherheit erhalten will, muss diese auch verteidigen können: gesellschaftlich, ökologisch und militärisch.

Stéphanie Empain und François Benoy sind Parteipräsidenten von déi gréng und frühere Abgeordnete.